Die lokale Kinogeschichte der Stadt Karlsruhe ist bisher nur in Teilen erforscht und bekannt. Publikationen und Ausstellungen beschränkten sich im wesentlichen auf die Baugeschichte der Karlsruher Kinos.

Das schon in den 80ern Jahren entstandene Buch von Gerhard Bechtold konzentriert sich ganz auf die Baugeschichte der Karlsruher Kinos; konsequenterweise beginnt die Darstellung mit dem Bau des Residenz-Theaters im Jahr 1908. Dessen Gebäude war schon beim Bau als Kino geplant; im Gegensatz zum Thalia-Theater, in dem der Gründer des Residenz-Theaters, Otto A. Kasper, begonnen hatte, Filme zu zeigen. Auch die anderen Örtlichkeiten, an denen im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts Filme gezeigt wurden, waren von ihrer Zweckbestimmung her Theater oder Varietés. Leider jedoch stellt sich beim Leser der Darstellung der Eindruck her, die Karlsruher Kinogeschichte beginne so Recht erst mit dem Bau des Residenz-Theaters und die Zeit der Wanderkinos sei eine Art Vorgeschichte, die getrost übergangen werden kann. Um G. Bechtold nicht unrecht zu tun, muss gesagt werden, dass die Erforschung des Frühen Kinos in den Achtziger Jahren noch gar nicht begonnen hatte und die Forschungs- und Quellenlage extrem schwierig und schlecht war.

Tatsächlich begann die Karlsruher Kinogeschichte im September 1896 mit der Aufführung einiger Lumière-Filme in dem nicht mehr existierenden Stadtgarten-Theater. Es folgte die Zeit der Wanderkinos bis im Laufe des ersten Jahrzehnts ortsfeste Kinos entstanden.

Es handelt sich also um eine mehr oder weniger kontinuierliche Entwicklung von den ersten Aufführungen über die Wanderkinos hin zu den ortsfesten Kinos der 10er Jahre. Die wechselhafte Entwicklung des deutschen Films und der deutschen Kinolandschaft bzw. Filmwirtschaft lässt sich an der lokalen Karlsruher Kinogeschichte sehr genau ablesen. Das gilt für die Zeit des Ersten Weltkriegs, der das deutsche Publikum zuerst von fast allen ausländischen Filmen abschnitt. Für die deutsche Filmwirtschaft bot sich jedoch die Chance, sich ungestört von ausländischer Konkurrenz entwickeln zu können. Nach dem Ersten Weltkrieg kamen zuerst zwar etliche ausländische Filme nach Deutschland, aber die schwere Wirtschaftskrise mit der Hyperinflation der frühen Zwanziger Jahre machte die Einfuhr ausländischer Filme für die Filmwirtschaft bzw. für die Verleiher unbezahlbar. Wieder waren die deutschen Filme an der Kinokasse ohne ausländische Konkurrenz. Neben einer sehr großen Zahl von Filmen mittlerer und noch bescheidener Qualität, von denen wir fast nichts mehr wissen, war auch Platz für die Entwicklung jener Regisseure, deren Namen untrennbar mit dem künstlerischen und wirtschaftlichen Erfolg des deutschen Films verbunden sind: Lubitsch, schon im 1. Weltkrieg sehr bekannt und berühmt geworden, Fritz Lang, Friedrich Wilhelm Murnau und später dann G. W. Pabst … (die Reihenfolge ergibt sich aus der historischen Abfolge). Die Basis für den enormen künstlerischen Erfolg des Deutschen Films wurde in dieser Zeit gelegt. All diese Entwicklungen lassen sich auch an der lokalen Kinogeschichte ablesen, genauso wie die Entwicklungen nach dem Ende der Wirtschaftskrise, als Hollywood begann, den deutschen Markt mit Filmen zu überschwemmen.

Wir haben mit der Erfassung aller im Jahr 1915 in Karlsruhe gezeigten Filme einen ersten Schritt unternehmen können, der uns deutlich gezeigt hat, welcher enorme Arbeitsumfang die nähere Erforschung der lokalen Kinogeschichte bedeutet.

Sie finden hier die Darstellung des Projektes aus dem Programmkatalog des Stummfilmfestivals 2015. (Der reichlich illustrierte Katalog kann käuflich zum Preis von 5,- Euro (ohne Versandkosten) erworben werden. Bitte schreiben Sie uns eine Email!)

Wie es weitergehen kann, können wir zur Zeit nicht sagen, da die Stadt Karlsruhe zur Zeit wohl keine finanziellen Mittel für ein größeres Forschungshaben bereitstellen kann.

Josef Jünger, im Oktober 2016

Kino in Karlsruhe im Jahr 1915
Einleitung

Das Projekt entstand aus Anlass des 300. Geburtstages der Stadt Karlsruhe. Jeder Geburtstag ist ein Anlass zurück zu schauen, die Geschichte einer Stadt zu rekapitulieren und aufzuarbeiten. Natürlich kann die Filmgeschichte nicht 300 Jahre zurückschauen, wir gehen nur 100 Jahre zurück und richten unseren Blick auf das Kriegsjahr 1915. Aus mehreren Gründen verdient das Jahr 1915 besonderes Interesse. Es war anzunehmen, dass im zweiten Kriegsjahr einige Auswirkungen der Kriegssituation besonders deutlich sich bemerkbar machen würden: die Blockade Deutschlands für französische Filme, die nicht mehr eingeführt werden durften, vor Beginn des Ersten Weltkriegs jedoch bis zu 80 % der Filme in den deutschen Kinos ausmachten.* Es musste also im Jahr 1915 starke Veränderungen und Verschiebungen im Filmangebot gegeben haben. Insbesondere war die Frage zu stellen, ob und ggf. wie das fehlende Filmangebot aufgefangen wurde. Wurden Filme anderer Länder verstärkt eingeführt, oder konnte die entstehende und von der Isolations-Situation profitierende (!) deutsche Filmindustrie der Nachfrage Herr werden?
Ganz im Vordergrund stand jedoch die Frage, wie die lokale Filmgeschichte sich überhaupt konkretisierte, wie dieser konkrete Fall sich zur globalen Filmgeschichte verhielt, wie die globale Filmgeschichte auf die lokale heruntergebrochen würde.
Nach einigen Vorgesprächen konnten in der Zeit der Vorbereitung des runden Geburtstags das Kulturamt der Stadt Karlsruhe und die Medien- und Filmgesellschaft des Landes Baden-Württemberg für eine Unterstützung dieses Projekts gewonnen werden.
Unser Dank geht an die Leiterin des Kulturamtes der Stadt Karlsruhe, Frau Dr. Susanne Asche und ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, insbesondere an Herrn Matthias Reich. Bei der MFG sind wir besonders Herrn Dieter Krauß, Mitglied der Geschäftsführung zu Dank verpflichtet, der das Projekt in allen Phasen befürwortet hat.
Das Stadtarchiv stellte uns nicht nur seine Quellen zur Verfügung, sondern fertigte auch die Scans aus den Originalzeitungen an, wofür wir dem Leiter des Stadtarchivs, Herrn Dr. Ernst Otto Bräunche und seinen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen herzlich danken.
Bei der Vorbereitung des Projekts sprachen wir mit vielen Experten, die wir dann als Berater regelmäßig kontaktierten:
Professor Dr. Joseph Garncarz, Universität Köln /
German Early Cinema Database
Dr. Marianne Lewinsky-Sträuli, Festival Cinema Ritrovato
Bologna/Zürich
Professor Dr. Martin Loiperdinger, Universität Trier
Professor Dr. Jörg Schweinitz, Universität Zürich.
Wir danken unseren Beratern und unserer Beraterin für die Gespräche, die wir mit Ihnen führen konnten. Ein besonderer Dank geht an Professor Dr. Joseph Garncarz. Mit ihm konnten wir vereinbaren, dass die Daten der Filmvorführungen in Karlsruhe in die „German Early Cinema Data Base“* implementiert wurden und jetzt der Forschung auf einer bekannten Plattform zur Verfügung stehen.
Als Festival- und Projektleiter danke ich den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen des Déjà Vu – Film e. V., die an der Vorbereitung und Durchführung des Projekts, insbesondere an der zeitintensiven Erfassung der Daten, und an der Identifikation der Filme beteiligt waren. Dies waren Stefanie Tieste und Halil Kekilli.
Die Film- und Kinogeschichte wird, obwohl das Medium erst etwas einhundert Jahre alt ist, immer noch um- und neugeschrieben. Die ersten Jahrzehnte der Filmgeschichte stellen für die Historiographie eine besondere Herausforderung dar. Die Quellenlage ist problematisch; sowohl was die Primärquellen, also die Filme, betrifft, wie auch die Sekundärquellen, also Rezeptionszeugnisse wie Zeitschriften, Kritiken usw.

*In den Quellen finden sich unterschiedliche Angaben, die zwischen ca. 60% und ca. 80% schwanken; der Anteil der französischen Filme kann tatsächlich nur geschätzt werden, da es letztlich keine umfassende Untersuchung gibt.

** zur Zeit (2020) zu erreichen unter http://earlycinema.dch.phil-fak.uni-koeln.de Bekanntlich wird davon ausgegangen, das bis zu 80% der Filme der ersten beiden Jahrzehnte unwiederbringlich verloren sind. Viele Filmzeitschriften existieren nur noch in Unikaten (!) in verschiedensten Bibliotheken. Dann musste der Film und damit einhergehend die Film- und Kinogeschichte zuerst einmal ein wissenschaftliches Interesse finden. Das dauerte lange, in einzelnen Ländern unterschiedlich lange. In Deutschland dauerte es besonders lange – und mittlerweile scheint es so, dass durch die Umwandlung einiger filmwissenschaftlicher Institute in sog. medienwissenschaftliche das spezielle filmhistorische Interesse bereits wieder ins Hintertreffen gerät. Konsequenterweise hat es auch seine Zeit gebraucht, bis die Wissenschaft ein tieferes Verständnis der ersten Jahre des Mediums entwickelte. Das Frühe Kino kannte das typische Erzählkino, wie es uns geläufig ist, fast gar nicht. Ort des Frühen Kinos war der Jahrmarkt, auf dem die Wanderkinos ihren Platz hatten. Das Publikum setzte sich vor allem aus den „niederen Schichten“ der Gesellschaft zusammen, das Bürgertum bildete eine Minderheit im Frühen Kino.
Jedoch übte das Kino bald auch seinen Reiz auf das Bürgertum und die Intellektuellen aus. Das Kino wandelte sich, zum Teil mit rasender Geschwindigkeit, aber auch mit deutlichen Unterschieden zwischen den einzelnen Ländern Europas, Amerikas, ja der ganzen Welt.
Wann wie welche Prozesse angestoßen wurden, ist immer noch zum Teil umstrittener Gegenstand der Filmgeschichtsschreibung. In diesem Kontext ist der Erforschung regionaler und lokaler Kontexte eine Bedeutung zugewachsen, die lange Zeit gar nicht vorstellbar war. Dies galt und gilt besonders für eine Forschung, die ihr Erkenntnisinteresse ausschließlich auf die Seite der Filmproduktion richtet und die Filmgeschichte als eine der Entwicklung formaler technischer und ästhetischer Mittel oder als eine von Regisseuren, Kameraleuten, Schauspielern- und Schauspielerinnen usw. beschreibt.
Die Seite des Publikums gerät einer solchen produktionsorientierten Wissenschaft nicht in den Blick. Jedoch lassen sich viele Entwicklungen und damit verbundene Fragestellungen erst untersuchen, wenn der Aspekt der Rezeption Berücksichtigung findet. Nehmen wir als Bespiel die Frage, warum es in der zweiten Hälfte des ersten Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts zu einer Entwicklung weg von den aus kurzen und kürzesten Filmen zusammengesetzten Filmprogrammen hin zu längeren Filmen kam. Ohne genauen Blick auf die Art und Weise wie Werbekampagnen geführt, wie Stars mit Blick auf das Publikum aufgebaut wurden, wie die Kinos als Versammlungsstätten gebaut und welches Publikum sie erreichen wollten, kurz: auf Rezeptionsstrukturen, lassen sich viele Entwicklungen der Film- und Kinogeschichte nicht verstehen.

 

Anzeige im Karlsruher Tagblatt vom 3. März 1915; die Programmstruktur mit den vielen einzelnen kurzen Filmen ist zu dieser Zeit schon fast veraltet. Neben und nach der Hauptattraktion, der aktuellen Berichterstattung, folgen in bunter Reihenfolge ein Märchenfilm, ein Kostümfilm, eine typische Crossdressing-Komödie mit der populären Schauspielerin Anna Müller-Lincke; dann ein Drama mit dem noch populäreren Waldemar Psylander und schließlich vermutlich ein Melodram.

 

Ziele der Untersuchung

Unser Erkenntnisinteresse war es, jenseits der globalen Film- und Kinogeschichte eine konkrete Vorstellung davon zu gewinnen, was das Publikum in Karlsruhe im Jahr 1915 in seinen Kinos sehen konnte. Das ursprünglich anvisierte Ziel, tatsächlich alle Filmvorführungen, die in Karlsruhe in diesem Jahr stattgefunden haben, zu erfassen, musste jedoch relativiert werden.
Es ließen sich praktisch nur jene Filmvorführungen erfassen, für die in den Karlsruher Zeitungen geworben wurde. Die Suche nach anderen Nachweisen von Filmvorführungen war aus Zeitgründen schlicht nicht möglich.
Eine konkrete Vorstellung davon, was in der Stadt Karlsruhe im Jahr 1915 in den Kinos zu sehen war, sollte dazu beitragen, sozusagen die „cineastische Identität“ dieser Stadt freizulegen. Karlsruhe ist bekannt als Stadt des Rechts, als Musikstadt, die in den 10er Jahren des 20.Jahrhunderts auch „Klein-Bayreuth“ genannt wurde. In der Residenzstadt Karlsruhe entstanden vor dem Ersten Weltkrieg keine Filmproduktionsfirmen wie z. B. in Freiburg. Jedoch befand sich in Karlsruhe eine Filiale der Firma Pathé (Karlstraße 28), die vermutlich kurz nach Kriegsbeginn geschlossen wurde. Die Stadt Karlsruhe begnügte sich offenbar mit der Rolle des Rezipienten. Berücksichtigt man dies, hat das Projekt doch ganz wesentlich dazu beigetragen, einen „schwarzen Fleck“ auf der cineastischen Landkarte zu tilgen oder zumindest aufzuhellen. Die bisherigen Untersuchungen und Ausstellungen konzentrierten sich fast ausschließlich auf die Baugeschichte der Karlsruher Kinos*; wir haben quantitativ erfasst, was in den Karlsruher Kinos gezeigt wurde.
Es konnte nicht mehr das Ziel des Projekts sein festzustellen, welchen Platz Film und Kino im städtischen Leben im Jahr 1915 hatten? Waren Kino und Film nur Unterhaltungsfaktor, gehörten sie zum kulturellen Leben, wie gestaltete sich das Verhältnis zu den anderen Künsten, insbesondere zu der stark favorisierten Musik? In den Anzeigen der Kinos finden sich sporadisch Andeutungen zur Rolle des Kinos im gesellschaftlichen Leben (s. das folgende Kapitel)

* Gerhard Bechtold: Kino, Schauplätze in der Stadt, Karlsruhe 1987

 

Ein Kinematograph auf der Karlsruher Mess‘

 

Diese Ansichtskarte, die im Stadtarchiv Karlsruhe aufgewahrt wird, lässt keinen Rückschluss darauf zu, dass genau dieser Schausteller mit seinem Kinematographen auf der Karlsruher Mess‘ war. Die Postkarte stammt aus einer Mannheimer Druckerei, die die gleiche Postkarte für verschiedene Städte herstellte.

Die Karlsruher Kinos im Jahr 1915

In Karlsruhe bestanden im Jahr 1915 sieben Kinos; in Durlach, das damals noch nicht nach Karlsruhe eingemeindet war, gab es Filmvorführungen im „Grünen Hof“, die von dem Betreiber des Residenz-Theaters durchgeführt wurden .
Das Zeitalter des Films hatte in Karlsruhe bekanntlich im September 1896 begonnen. In den Jahren danach gab es regelmäßig Gastspiele von Wanderkinos auf dem Messplatz. Im Laufe des ersten Jahrzehnts entstanden ortsfeste Kinos, bis 1908 mit dem Residenz-Theater das erste Kino entstand, das schon beim Bau als solches geplant war. Man kann also mit Recht von einer kontinuierlichen Entwicklung sprechen. Im Jahr 1915 fanden immer noch Aufführungen der Wanderkinos auf dem Messplatz statt; es dominierten aber die ortsfesten Kinos.
Am 21. August 1914, also kurz nach Kriegsbeginn, schrieb das Bezirksamt Karlsruhe an alle Karlsruher Kinobesitzer, um ihnen die neuesten Auflagen mitzuteilen. Folgende Kinos werden aufgelistet* :
Kaiserkinematograph, Kaiserstraße 5
Weltkinematograph, Kaiserstraße 133
Zentralkinotheater, Karl-Friedrich-Str. 26
Palast-Lichtspiele, Herrenstraße 11
Residenz-Theater, Waldstraße 30
Luxeum, Kaiserstraße 168
Metropoltheater, Schillerstr. 26.
Ein Verzeichnis, allerdings aus dem Jahr 1917, listet auch das Platzangebot der einzelnen Kinos auf:
Kaiserkino, Kaiserstraße 5 180
Weltkino, Kaiserstraße 133 128
Zentralkino, Karl-Friedrich-Straße 100
Palast-Lichtspiele, Herrenstraße 11 373
Residenz-Theater, Waldstraße 30 304
Luxeum, Kaiserstraße 168 276
(Das Metropoltheater erscheint nicht in dieser Liste)

* Stadtarchiv Karlsruhe, Akte 6/BZA 386

Am intensivsten warb das Residenz-Theater in der Waldstraße für sein Programm. Fast täglich erschienen Anzeigen, oft sogar in mehreren Zeitungen. Das Residenz-Theater bestand seit Dezember 1908, sein Betreiber war der frühere Hofbäcker Otto A. Kasper. Mit der vermutlich engen Beziehung zum Hof des Herzogs von Baden ist sicher auch die Namensgebung zu erklären. Das Residenz-Theater warb gelegentlich mit dem Hinweis auf den Rang des Kinos als für das Gesellschaftsleben bedeutsamen Ort. (Karlsruher Tagblatt Nr. 263 vom 22. September 1915 und unten, Kapitel „Das Publikum“)
Schon etwas weniger warben die Palast-Lichtspiele in der Herrenstraße. Aus der Namensgebung erklärt sich, dass dieses Kino eher die bürgerlichen und wohlhabenden Schichten der Karlsruher Bevölkerung ansprach. Ganz typisch für dieses Kino war, dass es als erstes in Karlsruhe über einen Balkon verfügte. Ich möchte auf die Ausführungen von Joseph Garncarz* verweisen, der in den Palast-Kinos einen speziellen Kino-Typus erkennt.
Als drittes Kino ist das Welt-Kino zu nennen, das sich in der Kaiserstraße befand, damals wie heute die wichtigste Karlsruher Einkaufsstraße. Dieses Kino, das als Weltkinematograph gestartet war, gehörte ursprünglich zur Freiburger Filmproduktionsgesellschaft „Weltkinematograph“. Die Freiburger Firma hatte sich aber bald ganz auf die Produktion konzentriert; das Kino ging dann an andere Eigentümer über.
Die anderen Karlsruher Kinos haben nur sporadisch geworben, z. T. mit einem vollständigen Verzicht auf die Erwähnung konkreter Filmtitel.
Eine Filmkritik gab es im Jahr 1915 in keiner der Karlsruher Zeitungen. In einzelnen Anzeigen, wie z. B. für den Film „Tirol in Waffen“ wurde aus Kritiken anderer Zeitungen zitiert.

* Joseph Garncarz, „Maßlose Unterhaltung: Zur Etablierung des Films in Deutschland 1896 – 1914“. Frankfurt/Basel 2010

 

Die Erfassung

Wir haben insgesamt mehr als 280 Programme erfasst; die Zahl der erfassten Filme und Wochenschauen bewegt sich im vierstelligen Bereich.
Auf Annoncen geprüft wurde der komplette Jahrgang 1915 des Karlsruher Tagblatts und der Badischen Presse. In den anderen Zeitungen wurden über längere Zeiträume fast ausschließlich die gleichen Annoncen gefunden wie im Karlsruher Tagblatt und in der Badischen Presse, so dass vor allem aus Zeitgründen die kompletten Jahrgänge nicht geprüft wurden.
Von allen gezeigten Filmen konnte ein hoher Anteil auch identifiziert werden. Jedoch bleibt ein „ungeklärter Rest“. Auch die Liste der nicht eindeutig zu identifizierenden Filme ist lang. Zweifelsfälle gab es auf allen Ebenen. Die ursprüngliche Liste umfasste 29 nicht identifizierte Filme, von denen Gerhild Krebs fünf identifizieren und zu weiteren wichtige Hinweise geben konnte, so dass jetzt noch 24 Filme als nicht identifiziert angesehen werden müssen. In aller Regel wurde in diesen Fällen auch auf filmportal.de nach dem Filmtitel gesucht. Die unten stehende Liste führt die Titel auf, die nicht identifiziert werden konnten.

Nicht identifizierbare Filme:
(KT = Karlsruher Tagblatt; BP = Badische Presse)
1) „Georges Durand“, KT, 30. 1. 1915
2) „Die Folge einer Zigarre“, BP, 30. 1. 1915
3) „Filzfabrikation“, KT, Nr. 121, 14. 4. 1915
4) „Straßenleben in Muttra“, , BP, 16.4.1915
5) „Herzenskonflikt,“ BP, 16.4.1915
6) „Ein Bärenidyll“ , KT Nr. 106, 17. 4. 1915
7) „Der treue Indianer“, KT, Nr. 110, 21. 4. 1915
8) „Munekin in 1000 Ängsten“, BP Nr. 218, 11. 5. 1915 *siehe Nachtrag
9) „Kornenburger Schiffswerfte“, KT Nr. 133, 14. 5. 1915
10) „Worms, die alte Lutherstadt“, KT Nr. 151, 2. 6. 1915
11) „Heilbronn und Umgebung“, KT Nr. 156, 7. 6. 1915
12) „Der Marienfall bei Grüneau“, KT Nr. 159, 10. 6. 1915
13) „Besuch in einem Kinderheim“, KT Nr. 179, 30. 6. 1915
14) „Die sichere Wette“, KT Nr. 185, 7. Juli 1915
15) „In der Rhone“, KT Nr. 192, 13. Juli 1915
16) „Deutsche Soldaten auf Schneeschuhen“, KT, Nr. 195, 16. 7. 1915
17) „Recco u. Camogli“, KT Nr. 214, 4. 8. 1914
18) „Der See von Burgeb“, BP Nr. 405, 1. 9. 1915
19) „Droschke Nr. 10006“, BP Nr. 405, 1. 9. 1915
20) „Kibitz halts Maul“, , KT Nr. 249, 8.9.1915
21) „Sedan 1870 – 1914/15“, KT Nr. 252, 11. 9. 1915
22) „Die Teufels-Uhr“, KT Nr. 263, 22. 9. 1915
23) „Zähmung und Dressur junger Pferde“, KT, 27. 11. 1915, Nr.329
24) „Tokayjel“, Programm Nr. 255, KT 1. 1. 1916, Nr. 1

In einem Fall konnte die Vorführung eines in der GECD nicht aufgeführten Films in einer anderen deutschen Stadt nachgewiesen werden. Es handelt sich um den Film „Teddy, der König der Einbrecher“ der auch in Magdeburg gezeigt wurde. Ich darf an dieser Stelle auf die online verfügbare Zeitung der SPD, die „Magdeburger Volksstimme“ verweisen. Bei französischen Filmen haben wir versucht, fehlende Angaben zu Originaltiteln in der GECD mit Hilfe neuerer Nachschlagewerke zu ergänzen.** Durchgehend war dies nicht möglich.

Wir mussten bei der Erfassung der Daten uns sehr in Geduld üben, bis wir ein Programm fanden, das wir fast komplett im Programm des 13. Stummfilmfestivals präsentieren können. Am 15. September 1915 zeigte das Residenz-Theater die Filme: „Der Stolz der Firma“ mit Ernst Lubitsch und „Der Fremde Vogel“ mit Asta Nielsen, ferner einen Film mit dem Titel „Zwei Freunde“ und die aktuelle Messter-Woche, eine der beiden im Jahr 1915 existierenden deutschen Wochenschauen. Genaueres ist hinsichtlich der Wochenschau nicht genannt; nur bei einem einzigen Programm im ganzen Jahr 1915 hat das Residenz-Theater die Nummer der Wochenschau angegeben.  Und schließlich gibt es so viele Filme mit dem Titel „Zwei Freunde“, dass mit der reinen Angabe des Titels dieser Film nicht eindeutig zu identifizieren war. Glücklicherweise sind die beiden erst genannten Filme erhalten. Wir werden das Programm um eine Wochenschau möglichst aus dem September 1915 ergänzen.
Das Programm vom 15. September 1915 blieb tatsächlich das einzige, das wir (fast) vollständig nachspielen können.

Anzeige im Karlsruher Tagblatt vom 15. September 1915

* Nachtrag: oft hilft nur etwas Fantasie, einem nicht-identifizierbarem Film auf die Spur zu kommen. … Nach einer entsprechenden Eingabe in der GECD fand sich der Film: „Nunek in 1000 Ängsten“. Nunek war der Rollenname von Danny Kaden, der sich auch Nunek Danuky nannte, und dessen Geburtsname Daniel Kirschenfinkel war. Er verließ Deutschland nach dem Ende des 1. Weltkriegs und ging nach Polen zurück.  Als gebürtiger Jude wurde er 1940 verhaftet, ins Warschauer Ghetto gesperrt; dort wurde er 1942 erschossen (lt. filmportal.de und cyranos.ch). Es ist durchaus möglich, dass der Karlsruher Kinobesitzer, wenn es nicht schon der Verleih gemacht hatte, den Filmtitel einfach änderte.

** Pierre Lherminier, Annales du Cinéma français, Les Voies du Silence 1895 – 1929, Paris 2012.
Jacques Richard, Dictionnaire des Acteurs du Cinéma muet en France, 2011.

Programme und Genres
Aufbau der Programme:

Je nach Lage auf dem Kriegsschauplatz wurden die „Aktualitäten“ zum wichtigsten Programmpunkt oder rückten etwas in den Hintergrund. In der Regel am Anfang gezeigt, kam es aber im Laufe des Jahres zu einer Entwicklung, die Wochenschauen auch später im Laufe des Programms zu zeigen. Das oben abgebildete Programm vom 15. September bringt die Wochenschau zwischen den beiden Filmen „Der Stolz der Firma“ und „Der fremde Vogel“; die Titel dieser beiden Filme sind besonders hervorgehoben, so dass sie die Hauptfilme des Programms bilden.
Über die Gründe, die Wochenschau nicht mehr am Anfang des Programms zu zeigen, kann nur gemutmaßt werden: waren die Nachrichten nicht interessant genug, oder waren sie vielleicht sogar zu schrecklich? In den ersten Monaten des Jahres genoss ein Zeppelin über England jedenfalls größte Aufmerksamkeit; die Annonce wurde mit einer aufwändigen Illustration versehen. Diese Aktualität wurde jedenfalls als erster Programmpunkt gezeigt, sofern man der Anzeige folgt.
Nach der Wochenschau ging es in einer mehr oder weniger festgelegten Reihenfolge weiter: Drama und Komödie wechselten sich oft gegenseitig ab; am Ende folgte jedoch meistens der Höhepunkt des Programms, den oft ein dramatischer oder tragischer Film darstellte.
Es fällt auf, dass die Komödien und Burlesken im Laufe des Jahres 1915 nie aus den Programmen verschwinden. Das widerspricht der Politik der Behörden: Sie wollten angesichts der „ernsten Zeiten“ alles „Sensationelle“, die sog. „Schlager“, das Aufdringliche oder Anstößige aus den Kinos verbannen. Die Praxis war offenbar anders. Jedenfalls bringt die Datenbankabfrage nach der Birett-Kategorie „Lustspiel“* ein entsprechendes Ergebnis: die Anzahl der Filme, die dem komischen Genre zuzuordnen sind, nimmt zwar zuerst ab, pegelt sich aber nach einem Ausreißer im April 1915 auf relativ hohem Niveau ein.

Abfrage nach Birett-Genre „Lustspiel“ in der GECD

Eine Anmerkung zum Programm vom 3. bis zum 5. März 1915 im Residenz-Theater: mit dem Film „Frl. Feldwebel“ ist ein Film vertreten, den Philipp Stiasny dem „feldgrauen Kitsch“** zugeordnet hat. Bis heute ist dafür auch der Begriff „Militärklamotte“ gebräuchlich. Die Kombination mit einer Crossdressing-Rolle war beim Publikum vermutlich sehr beliebt; bei der Zensur vermutlich weniger. Die Hauptrolle war mit einer damals sehr populären Schauspielerin besetzt: Anna Müller-Lincke.

* Die GECD beruht im Wesentlichen auf den beiden Publikationen von Herbert Birett (+24. 1. 2015) Das Filmangebot in Deutschland 1895 – 1911 und VERZEICHNIS IN DEUTSCHLAND GELAUFENER FILME. Entscheidungen der Filmzensur 1911-1920. Berlin, Hamburg, München, Stuttgart. H. Birett hat selbst die Filme einzelnen Genres zugerechnet; seine Genrekategorie „Lustspiel“ umfasst nicht nur Komödien sondern auch die sog. Filmgrotesken (= Slapstick).

** http://www.filmportal.de/thema/filmbranche-und-propaganda-1914-1918 (Zugriff am 20. 2. 2015)

Anzeigen im Karlsruher Tagblatt, Nr. 51, S. 8, 20. Februar 1915.
Bei dem Film „Yvette heiratet“ handelt es sich mit vermutlich um „Yvette se marie“ mit Yvette Andreyor; die GECD gibt als Produktionsfirma die DeKaGe, Köln und als Produktionsland „Deutschland“ an; GECD-ID: 8693.
Der Dictionnnaire des acteurs macht folgende Angaben: OT: Yvette se marie, F 1913/14, P Géo Janin.

Werbestrategien oder „… mit Herrn Leichtlin von Karlsruhe in der Hauptrolle.“*

Immer wieder finden sich Annoncen mit solchen, schnell als falsch erkennbaren, Angaben. Mitnichten spielte der Herr Leichtlin in dem angekündigten Film „Von sieben die Häßlichste“ die Hauptrolle. Vielmehr war es Harry Liedtke, und es ist anzunehmen, dass der zeitgenössische Kinogänger den Schauspieler Harry Liedtke sehr wohl kannte.
Warum also ein solcher Scherz? Wollte man dadurch Publikum gewinnen, das sehr selten ins Kino ging, oder wollte man einen Namen in die Anzeige aufnehmen, der dem Publikum wohl bekannt war, und sich dadurch im Gespräch halten? Denn Leichtlin war ein in Karlsruhe bekannter Name; die Firma Leichtlin kannte jeder. So ging es wohl vorrangig darum, das Kino als Gegenstand des Stadtgesprächs präsent zu halten.
In anderen Fällen wird der Besucher jedoch mit falschen Angaben, die nicht so leicht zu durchschauen sind, ins Kino gelockt. So wird die oft als „Kino-Königin“ titulierte Suzanne Grandais als Mitwirkende in dem Film „Myrte und Schwert“ genannt. In der Anzeige im Karlsruher Tagblatt ist zu lesen: „ Gespielt mit bekanntem Charme unsere vielbewunderte Suzanne Grandais.“ Das ist jedoch schlicht falsch; in Karlsruhe liefen im Jahr 1915 zwar einige Filme mit Suzanne Grandais, aber in diesem spielte sie nicht mit.
Genau genommen sind solche Werbetricks die konsequente Folge des bereits etablierten Star-Systems. Bestimmte Schauspielerinnen und Schauspieler wurden regelmäßig genannt, wenn sie in einem der Filme des Programms mitspielten. Der Regisseur war dagegen nicht so wichtig; entsprechende Angaben sind viel seltener. Publikumszeitschriften stellten Rankings mit den beliebtesten Stars auf, und auch die Fachpresse blieb von den Werbetricks der Produzenten und Verleiher nicht verschont. So finden sich z. B. in der GECD Filme mit Asta Nielsen, von denen die Forschung inzwischen festgestellt hat, dass Asta Nielsen nicht an ihnen beteiligt war.

Eine andere, in den zehner Jahren beliebte Strategie war es, die Annoncen zu „verrätseln“; wieder eine andere Strategie, die Ankündigung des Programms auf mehrere kleine Anzeigen und über eine ganze Zeitungsseite zu verteilen (siehe die obige Abbildung einer ganzen Zeitungsseite).
Wir listen hier auf, welche der folgenden Schauspieler in Annoncen für Filme im Jahr 1915 in Karlsruhe persönlich genannt wurden, bzw. wie viele Filme mit ihnen insgesamt lt. GECD nachweisbar sind.
Persönliche Nennung          Filme insgesamt in der GECD
1) Asta Nielsen                 9                                       60
2) Waldemar Psilander     4                                       87
3) Henny Porten               9                                     130
4) Dorrit Weixler               1                                       33
5) Anna Müller-Lincke      6                                       81
6) Suzanne Grandais        1                                       24
7) Max Linder                    –                                     137
Vergleichsweise sei auf die Umfrage nach den beliebtesten Schauspielerinnen und Schauspielern der Illustrierten Kino-Woche Nr. 1, 1914, verwiesen:
1) Waldemar Psilander 382 Stimmen
2) Asta Nielsen 271 Stimmen
3) Henny Porten 258 Stimmen
4) Max Linder 193 Stimmen
5) Suzanne Grandais 152 Stimmen
6) Dorrit Weixler –
7) Anna Müller-Lincke –

* Anzeige in: KT, Nr. 303, 1. November 1915

Die großen und populären Filmstars der zehner Jahre

 

Das Filmangebot in Karlsruhe

Haben die Karlsruher die wichtigen und interessanten Filme zu sehen bekommen, die im Jahr 1915 ins Kino kamen? Diese Frage lässt sich schnell mit einem eindeutigen „Ja“ beantworten. Die deutschen Uraufführungen kamen mit einer gewissen Verzögerung nach Karlsruhe, die sich auch für andere deutsche Großstädte beobachten lässt. Besonders interessant erschien die Frage, wie ausländische Filme vertreten waren? Ausgangspunkt war die bekannte Tatsache, dass der deutsche Markt für die Filme der Länder, mit denen Deutschland sich im Krieg befand, blockiert war. Dies traf sofort mit Kriegsbeginn auf Frankreich zu. Jedoch ist selbst in den Erlassen der Behörden zu lesen, dass französische Filme, die vor Kriegsbeginn bereits eingeführt waren, gezeigt werden durften. Nur wenn sie wegen ihrer „Oberflächlichkeit und Seichtheit in die jetzige ernste Zeit nicht (hineinpassten)“, war eine Aufführung lt. dem Erlass des Kriegsministeriums vom 11. Mai 1915 (siehe große Abbildung unten) zu verbieten.

Anzeige im Karlsruher Tagblatt am 18. Januar 1915

Es ist deswegen nicht weiter verwunderlich, dass sich im Januar 1915 Anzeigen finden, die Filme sofort als Produktion der frz. Firma Gaumont erkennen lassen, wie die abgebildete Anzeige.

Andererseits zeigt die Datenbankabfrage (siehe folgende Abbildung) doch eine kontinuierliche Abnahme des Anteils der französischen Filme. Ähnliches gilt auch für die italienischen Filme; nach dem Kriegseintritt im Mai 1915 geht ihr Anteil stetig zurück. Vorher jedoch konnte das Karlsruher Publikum einige der interessantesten Filme der italienischen Produktion des Jahres 1914 noch im Kino bewundern.

GECD-Abfrage: Französische Filme in Karlsruhe 1915

Wodurch wurden die ausbleibenden Filme ersetzt? Einerseits wurde die deutsche Produktion angekurbelt; mit der Qualität der französischen Filme konnte sie jedoch (noch) nicht mithalten. Dann – zumindest ist es so in den Standardwerken der Filmgeschichte zu lesen – wurden zunehmend Filme aus den skandinavischen Ländern importiert. Die Datenbankabfrage – nur für Dänemark durchgeführt – ergibt jedoch ein anderes Bild (siehe Abbildung).

GECD-Abfrage: dänische Filme in Karlsruhe 1915

Der Anteil der dänischen Filme sinkt sogar im Laufe der ersten Monate des Jahres 1915 deutlich ab, um sich dann auf niedrigem Niveau einzupegeln. Ein Vergleich mit anderen Großstädten gibt Anlass zu der Vermutung, dass der Anteil skandinavischer Filme in den verschiedenen Verleihbezirken offenbar schwankte und vielleicht in Norddeutschland deutlich größer war. Die Frage muss jedoch offen bleiben.

Das Publikum

Die berühmteste und bekannteste Untersuchung und auch eine der frühesten ist Emilie Altenlohs Untersuchung des Publikums der Mannheimer Kinos. Die Stadt Mannheim war für diese Untersuchung mit ihren 17 Kinos bestens geeignet. An der Anzahl der Kinos lässt sich ablesen, dass es offenbar die Arbeiterschaft war, die den Großteil des Publikums stellte – denn Mannheim war eine Arbeiterstadt. Karlsruhe als Residenzstadt war jedoch geprägt von seinem bürgerlichen Publikum. Auch dieses Publikum ging ins Kino. Das Residenztheater wollte offensichtlich gerade den bürgerlichen Teil des Publikums ins Kino holen; die Anzeige im Karlsruher Tagblatt Nr. 263 vom 22. September 1915 ist um folgenden Hinweis ergänzt: „In den Nachmittagsvorstellungen Stelldichein von Damen u. Herren, Familien der Gesellschaft.“ Es wird deutlich: das Kino soll auch ein Ort der Begegnung und des sozialen Austausches für die bürgerlichen Schichten sein.
Da nur ein Teil der Karlsruher Kinos regelmäßig in den Zeitungen warb, kann davon ausgegangen werden, dass die anderen Kinos mit Plakaten und dem Aushang direkt am Kino das Publikum zu erreichen suchten. Eines der Kinos, das sehr selten Anzeigen schaltete, war das Kaiser-Kino, das jedoch in einer Anzeige einen längeren Text veröffentlichte, der einige Rückschlüsse erlaubt.
In der Anzeige heißt es: „Bei Ihnen ist es immer voll rufen unsere ständigen Besucher bei jedem Programm. Diese 6 Worte sagen allein mehr als ganze Seiten Empfehlung und das Verteilen tausender Freibillets. Der Schlüssel zu des Rätsels Lösung ist: Jedes Programm wird bei uns mit Herz und Liebe zusammengestellt, …. Unterstützt werden wir …. durch langjähriges Studium des Geschmacks der hiesigen Einwohner. …“ *
Dieser Kinobesitzer glaubt also den Geschmack seiner Besucher so gut zu kennen, dass Zeitungswerbung für ihn nicht notwendig erscheint. Anders gesagt: er vertraut ganz dem engen Kontakt zum Publikum. Das Kaiser-Kino lag am Rande eines Teils der Stadt, der damals stark geprägt war von kleinen Handwerksbetrieben, vielen Kneipen, dem sog. „Dörfle“. Heute würde man es einen sozialen Brennpunkt nennen. In diesem sozialen Umfeld müssen offenbar andere Werbestrategien greifen als bei den Kinos im Zentrum der Stadt, also beim Residenz-Theater und den Palast-Lichtspielen.

* Anzeige in KT und BP, 13. Februar 1915:

Zusammenfassung:

Die Ergebnisse des Projekts bestehen aus einem Mosaik unterschiedlichster Fakten; die sich zu einer beträchtlichen Faktenmenge addieren. Die erfassten Filmaufführungen in Karlsruhe im Jahr 1915 sind in der „German Early Cinema Database“ festgehalten; diese Daten können in vielfältiger Weise weiter ausgewertet werden. Von Filmen, die bisher an keiner anderen Stelle aufgeführt wurden, bis zu den behördlichen Eingriffen und Maßnahmen zur Regulierung der Kinos entsteht ein breiter Fächer von Details, die ein Bild der Stadt Karlsruhe aus der Sicht des Kinogängers im Jahr 1915 entstehen lassen. Für den Projektleiter ist tatsächlich so etwas wie eine cineastische Identität der Stadt Karlsruhe im Jahr 1915 entstanden. Eine Identität, die sich zusammensetzt aus den jetzt nachvollziehbaren Kinoerfahrungen, die der Karlsruher Kinobesucher im Jahr 1915 machen konnte. Diese Erfahrungen reichten von den „Aktualitäten“, d.h. den Wochenschauen, die ganz im Zeichen der Kriegsereignisse standen, bis zu den zum Teil heute noch berühmten Filmen einer Asta Nielsen, Henny Porten oder Francesca Bertini über die dramatischen Höhepunkte des dänischen Films mit Waldemar Psilander bis zu den Stars der deutschen Komödien wie Ernst Lubitsch, der vollkommen vergessenen Anna Müller-Lincke oder der leider viel zu früh verstorbenen Dorrit Weixler.
Josef Jünger